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Medienkonsum bei Kindern

  • Autorenbild: Jeannette Kriesel
    Jeannette Kriesel
  • vor 2 Tagen
  • 6 Min. Lesezeit

Warum Eltern ausrasten, während ihre Kinder einfach leben


Foto vom Smartphone

Das Problem ist nicht die Medienzeit, sondern die Panik im Kopf der Erwachsenen. Jeannette Kriesel

 

Eltern reden über Medien, als ginge es um radioaktives Material. „Die machen süchtig.“ „Die machen dumm.“ „Die zerstören die Kindheit.“ „Früher haben wir draußen gespielt.“


Früher seid ihr aber auch ohne Helm Fahrrad gefahren, wart unbeaufsichtigt stundenlang unterwegs, habt Süßigkeiten im Tante-Emma-Laden geklaut und im Fernsehen lief ausschließlich Derrick oder Hitparade. Kein Mensch kann „früher“ mit „heute“ vergleichen, wenn alles daran eine andere Welt war.


Medien sind nicht das Problem. Panische, überforderte, schlecht regulierte Eltern schon. Medienkonsum bei Kindern

Oder anders gesagt: Kinder kommen problemlos mit Medien klar. Eltern nicht. Denn Medien sind für Erwachsene Projektionsflächen für alles, was sie selbst nicht im Griff haben. Stress, Reizüberflutung, Abhängigkeit, Selbstverlust, Regulation, usw.


Kinder haben keine Theorie über Medien. Sie haben aber ein Bedürfnis nach Bindung, Beziehung, Kontakt, Kompetenz und Zugehörigkeit. Wenn diese Bedürfnisse klar sind, bleibt Medienkonsum genau das, was er ist, nämlich ein Bestandteil der modernen Welt und nicht das Ende der Zivilisation.

 

Warum Medien Eltern so hart triggern

Es hat drei Gründe:


1. Medien machen sichtbar, was Eltern nicht wahrhaben wollen.

Wenn ein Kind „zu viel“ am Bildschirm hängt, ist das nie reiner Medienkonsum, sondern eher Überforderung, Langeweile, fehlende Connection, Stress, innere Leere, Bedürfnis nach Kontrolle oder Autonomie oder eine angenehme, leicht verfügbare Möglichkeit zur Selbstregulation. Es ist ein Spiegel der Familiendynamik.


2. Eltern spüren unbewusst ihre eigene Dysregulation.

Der Erwachsene, der Medien am lautesten aburteilt, ist oft derjenige, der selbst stundenlang am Handy hängt, Mails checkt, in Online-Shops scrollt oder Serien binge-watched.

Bildschirm bleibt Bildschirm. Auch wenn du sagst: „Aber meins ist beruflich!“ Das Gehirn unterscheidet nicht. Denn auch Dopamin bleibt Dopamin!


3. Medien wirken wie Kontrollverlust

Je mehr Eltern versuchen zu kontrollieren, desto mehr eskaliert das Thema. Denn Verbote und Begrenzungen erzeugen Machtkämpfe, Heimlichkeit, Stalking des WLAN-Routers, Streit und die berühmte Bildschirm-Sabotage, für die Teenager eine natürliche Begabung haben

 

Die große Medien-Panikoper und warum Manfred Spitzer sie auf Tour geschickt hat

Manfred Spitzer hat Pionierarbeit geleistet, keine Frage. Aber er hat auch etwas geschafft, das wirklich fragwürdig ist: Er hat Eltern neurotisiert.


Spitzer verkauft Medien wie Zigaretten aus den 70ern. Als eine Katastrophe, vor der nur radikale Askese rettet. Das Problem dabei ist, dass Spitzer immer mit Extremfällen argumentiert. Und er blendet aus, dass Kinder nicht im luftleeren Raum leben, sondern in Systemen, also Familien, Beziehungen, Schulen, Peers, Kultur.


Es gibt Kinder, die viel zocken und sehr kompetent, sozial stabil, hochreflektiert und kreativ sind. Es gibt Kinder, die kaum Medien nutzen und trotzdem emotional instabil sind. Warum ist das so? Weil die Variable nicht das Medium ist, sondern, wie immer, die Beziehung.


Spitzers Daten sind real, aber die Interpretation ist verzerrt. Er beschreibt Symptome, nicht Ursachen. Er sieht Korrelation aber verkauft sie als Kausalität. Und er übersieht vollständig, dass Medien in einer digitalisierten Welt auch Kompetenzen schaffen, nicht nur Risiken.


Kleinkinder + Bildschirme = Neurobiologische Überforderung

Bildschirme sind für Kleinkinder tatsächlich ein Problem. Aber nicht wegen „Sucht“ oder „Dummheit“, sondern wegen Neurobiologie. Ein Kleinkind kommt mit  ungefilterten Reizen einfach noch nicht klar, weil so vieles noch mitten in der Entwicklung steckt.

 

  • Reizfilter (Thalamus): Reize rauschen ungefiltert rein. Ein Bildschirm wirkt wie ein Feuerwerk im Nervensystem.


  • Visuelle Verarbeitung: Das visuelle System ist noch in der Grundausbildung. Schnelle Schnitte, grelle Farben und hohe Kontraste sind Überreizung pur.


  • Integration von Bewegung + Wahrnehmung: Ein Kleinkind lernt über den Körper. Bildschirm trennt Wahrnehmung vom Tun und entspricht einer unnatürliche Abspaltung.


  • Dopaminerge Systeme: Dopamin = „Oh cool! Noch mehr davon!“ Bildschirme geben Dopamin ohne körperliche Aktion. Das ist wie Zucker ohne Essen und generiert künstliche Peaks.


  • Bindungsorientierung: Das Nervensystem eines Kleinkinds ist auf Menschen programmiert, nicht auf Pixel. Jede Minute vor dem Bildschirm ist eine Minute ohne Mimik, Stimme, Rhythmus, Synchronisation.


Kurz gesagt: Ein Kleinkind kann Bildschirm nicht verarbeiten. Es kann ihn nur überleben.

 

Anekdote und die Wahrheit dahinter

Ich erzähle dir kurz, wie es bei uns läuft. Es gibt Tage, an denen meine Kinder einfach glotzen wollen. Und weißt du was? Das ist okay. Denn ich schaue zuerst auf das Warum, nicht auf die Minuten.


Ich checke: Ist ihr Nervensystem platt? Fehlt ihnen Kontakt? Hatten sie Reibung? Sind sie überlastet? Brauchen sie Ruhe?


Und in 99 Prozent der Fälle geht’s nicht um das Medium. Es geht um Regulation. Ich habe aufgehört, Medien als Feind zu sehen. Ich sehe sie als Werkzeug. Nicht perfekt, aber hin und wieder nützlich und situationsabhängig.

 

Medienkonsum ist ein Beziehungsbarometer

Wenn ein Kind permanent am Handy hängt, sagt das nicht: „Ich bin süchtig.“ Es sagt eher: „Ich finde woanders nicht, was ich suche.“


Teenager flüchten in Medien, wenn sie keine Verbindung spüren, keinen Einfluss erleben, Schuld und Druck tragen, keine emotional sichere Basis habe, Autonomie nur über den Bildschirm bekommen oder innerlich leer sind.


Medien machen nicht leer. Sie füllen Leere, die schon da war. Das Problem ist also nicht Fortnite, sondern die Abwesenheit von gelebter Beziehung. Und genau deshalb ist der Satz „Medien machen Kinder dumm“ nicht nur falsch, er ist einfach viel bequemer. Er entlastet Erwachsene von ihrer Verantwortung.

 

Die Rolle der Eltern und warum ihr eigenes Medienverhalten alles bestimmt

Ein Elternteil, der selbst dauernd am Handy hängt, hat keinen pädagogischen Boden, Medien zu begrenzen. Kinder „sehen“ nicht, was wir sagen. Kinder sehen, was wir tun.


Und das Muster ist immer gleich. Eltern benutzen Medien zur Stressbewältigung und bestrafen Kinder dafür, dass sie es genauso tun.


Kinder scrollen = „Suchtproblem - “Eltern scrollen = „Ich brauche kurz Pause“

Kinder zocken = „Kein echtes Leben mehr - “Eltern Netflix = „Ich entspann mich doch nur“

Kinder hängen am Handy = „Alles zu viel - “Eltern am Handy = „Ich arbeite doch!“


Das Nervensystem eines Kindes unterscheidet da nicht. Bildschirm ist Bildschirm und  Regulation ist Regulation.

 

Die digitale Zukunft und warum wir Eltern komplett falsch abbiegen

Die Zukunft ist digital. Und zwar radikal digital. Das ist nun mal so. Unsere Kinder werden in Jobs arbeiten, die wir noch nicht kennen. Sie werden Technologien nutzen, die wir uns nicht vorstellen können und sie werden Kommunikation leben, die anders funktioniert als alles, was wir kennen.

Und währenddessen sitzen wir da und diskutieren, ob 60 Minuten Bildschirm am Tag „noch okay“ sind.


Wir erziehen Kinder für eine Welt, die es nicht mehr gibt. Digitalkompetenz entsteht nicht durch Vermeidung. Sie entsteht durch Beziehung, Reflexion, Handlungsräume,  Selbstwirksamkeit, Begleitung und Feedbacks.


Medien zu verdammen ist pädagogisch ungefähr so klug wie das Lesen von Büchern zu verteufeln. Bücher zu lesen ist auch ein Eintauchen in fremde Welten, und kann, nebenbei bemerkt, auch auf Dauer auch zu Fehlsichtigkeit führen. Nur falls es die Augen deines Kindes sind, die dir Sorgen bereiten...


Die Zukunft braucht stabile Nervensysteme, selbstbewusste Benutzer, solide Medienkompetenz und Eltern, die ihre Panik nicht an ihre Kinder vererben.

 

Beziehung ist die Lösung. Wie immer!

Wenn du als Elternteil über Medien gestresst bist, dann nicht wegen der Medien. Sondern wegen deiner inneren Themen. Angst, Kontrollverlust, mangelnde Regulationsfähigkeit, eigene Süchte, alte Glaubenssätze, Hilflosigkeit und natürlich das schlechte Gewissen.


Kontakt statt Kontrolle, Begleitung statt Begrenzung und Verbindung statt Verbote sind die einzigen Gamechanger, die dich viel entspannter mit diesem, immer wieder, heiß diskutierten Thema umgehen lassen. Medienkonsum erscheint wie dein persönlicher pädagogischer Endgegner. Er ist aber viel eher ein Spiegel, der dir zeigt, wie es um deine Beziehung, deine Ängste, deine Erwartungen, oder deine Haltung steht.


Wenn du das erkennst, wird Medienerziehung plötzlich leicht. Und deine Kinder wachsen in einer digitalen Welt auf, ohne darin unterzugehen. Versuch das mal. Du wirst erstaunt sein, was daraus entstehen kann.


Text: Medienkonsum bei Kindern. Jeannette Kriesel

 


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Jeannette Kriesel

 
 
 

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