Gefühle
- Jeannette Kriesel

- vor 2 Tagen
- 4 Min. Lesezeit
Sie wollen nichts sagen. Sie wollen etwas wissen.

"Gefühle sind wie Popups, die Anfragen an deine Realität stellen." Jeannette Kriesel
Gefühle sind wild. Gefühle sind laut. Gefühle sind das Internet des Nervensystems. Jeder darf schreien, nichts wird geprüft, und am Ende glaubt das Großhirn jeden Mist.
Und genau deshalb rennen Menschen ständig mit Sätzen rum wie: „Mein Gefühl sagt mir, dass…“ „Ich habe so ein Bauchgefühl, also…“ „Irgendwas stimmt hier nicht, ich spüre das…“
Ja. Klar. Du spürst viel. Aber dein Gefühl sagt dir erstmal gar nichts. Es stellt nur eine Frage. Aber dein Verstand macht eine unumstößliche Aussage daraus und meißelt sie in Stein.
Gefühle als Aussagen: Die emotionale Vollkatastrophe
Wenn du deine Gefühle als Aussagen interpretierst, passiert Folgendes:
Angst fühlt sich wie Wahrheit an
Wut fühlt sich wie Gerechtigkeit an
Scham fühlt sich wie Beweis an
Traurigkeit fühlt sich wie Endzeitprophezeiung an
Dann denkst du nicht „Da ist ein Gefühl von Angst.“, sondern „Hier ist es gefährlich.“
Denn dein altes Reptiliengehirn kennt nur zwei Kategorien: Fressen oder Gefressenwerden. Es ist nicht zuständig für Feinheiten wie psychologische Muster, Kindheitstrauma oder „der Kommentar war eigentlich gar nicht böse gemeint“.
Also feuert es Alarm. Und dein Großhirn, der eigentlich kluge Teil, macht daraus Aussage = Realität.
Und schon hängst du drin. In impulsiven Reaktionen, Stress, Drama oder kompletter Vermeidung.
Warum Gefühle eigentlich Fragen sind
Gefühle sind keine fertigen Botschaften. Gefühle sind Rohdaten. Das limbische System drückt den Klingelknopf und schickt ans Großhirn die Nachricht: „Kannst du bitte mal prüfen, ob das hier real ist? Danke, ciao.“
Gefühle sind also Fragen. Immer. Sie fragen:
„Bin ich hier sicher?“
„Bin ich damit allein?“
„Werde ich gleich verlassen?“
„Ist das wirklich so schlimm?“
„Ist das neu oder ein alter Trigger?“
Wenn du Angst hast, lautet die eigentliche Frage: „Muss ich wirklich rennen oder ist das nur mein Nervensystem, das ein Déjà-vu aus der Kindheit hat?“ „Wurde eine Grenze verletzt oder nur mein Ego?“ „Passiert hier gerade etwas oder passiert etwas in mir?“
Warum das Großhirn lieber Panik schiebt
Ganz einfach: Weil dein Großhirn faul ist. Sparmodus. Energiemanagement. Es liebt Gewohnheiten. Und wenn du jahrzehntelang jede Emotion als Wahrheit gedeutet hast, sagt es automatisch: „Ah, kenn ich! Lass uns die alte Story drüberlegen!“
Also die übliche Leier aus konditionierten Reaktionen. Man nennt das: überlernte Scheiße. (Neurobiologisch korrekt formuliert, natürlich.)
Wenn wir Gefühle verdrängen
Gefühle verdrängen wir nicht, weil wir so tough sind. Sondern weil wir den Unterschied nicht kennen zwischen:
Gefühl als Frage → prüfbar und Gefühl als Aussage → bedrohlich
Wenn ein Gefühl eine Aussage ist, willst du es loswerden, klar. Wenn ein Gefühl eine Frage ist, kannst du sie beantworten. Dein System wechselt vom Überlebensmodus in den Prüfmodus.
Die Angst wird zur Nachfrage, die Wut wird zur Information, die Traurigkeit wird zur Einladung und die Scham wird zur Erinnerung. Du reagierst nicht mehr blind, sondern bewusst, du wirst nicht mehr überrollt, sondern neugierig und aus Drama wird Klarheit.
„Was will mich dieses Gefühl gerade fragen?“ Das ist der Moment, in dem du dich aus der alten Konditionierung rauskatapultierst.
Warum uns dieser Satz konditioniert
Der Grund, warum die meisten Menschen bei jeder Emotion automatisch denken „Was soll mir dieses Gefühl sagen?“ liegt daran, dass sie jahrzehntelang gelernt haben, Gefühle als Wahrheit, Urteil und Realität zu behandeln.
Aber wenn du ein Gefühl als Anfrage deines Nervensystems wahrnimmst, setzt du das Großhirn wieder als Chef ein. Du zwingst es, zu prüfen. Gefühle verlieren damit nicht an Bedeutung, sie verlieren nur ihren Absolutheitsanspruch.
Sag nicht: „Mein Gefühl sagt mir…“
Sag: „Mein Gefühl fragt mich…“
„Ist das wirklich so?“
„Reagiere ich auf das Jetzt oder auf ein Früher?“
„Ist das meine Angst oder die meiner Mutter?“
„Bin ich in Gefahr oder nur getriggert?“
Das ist emotionale Reife. Kein Drama, kein Wegdrücken, kein Überinterpretieren. Nur klare innere Führung.
Gefühle sind keine Fakten. Gefühle sind kleine, nervige Popups deiner Urzeitsoftware, die dich fragt: „Kannst du mal checken, ob das stimmt?“
Gefühle sind kein Problem
Wenn du beginnst, Gefühle nicht länger als göttliche Durchsagen zu behandeln, sondern als neugierige Fragen deines Nervensystems, hörst du endlich wieder dich. Nicht die alten Muster, nicht die Familienscripte, nicht die Angst. Sondern dich. Dein Nervensystem kann runterfahren, und plötzlich wird deutlich: Gefühle sind kein Problem. Was du daraus machst, kann zum Problem werden. Die Frage ist also nicht, was du fühlst, sondern was du damit machst. Und ob du bereit bist, dir selbst ehrliche Antworten zu geben.
Text: Gefühle: Sie wollen nichts sagen. Sie wollen etwas wissen. Jeannette Kriesel
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Jeannette Kriesel



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