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Der spirituelle McDrive

  • Autorenbild: Jeannette Kriesel
    Jeannette Kriesel
  • 12. Aug.
  • 3 Min. Lesezeit

Aktualisiert: 19. Nov.

Warum Erlebnis-Spiritualität meistens nur gut verpacktes Eskapismus-Theater ist

 

Leuchtschrift auf Gebäude auf dem Drive-In steht
„Echte Heilung hat keinen Drive-In. Du musst aussteigen, reingehen und den Dreck selber wegtragen.“ Jeannette Kriesel

Es gibt sie wie Sand am Meer: Die spirituellen Kiosk-Betreiber, bei denen du dir mal eben schnell eine Dosis Erleuchtung auf die Hand holst. Ein bisschen Channeling hier, ein Chakra-Upgrade da, noch schnell ein Karten-Reading zum Nachtisch. Fertig ist das 3-Gänge-Menü der Erlebnis-Spiritualität.

 

Der spirituelle McDrive: Highs ohne Haltbarkeit

Spiritualität ist für viele zum Event geworden. Zum Festival der Gefühle. Ein kurzzeitiges High, das sich im Alltag schneller verflüchtigt als die letzte Salbeiräucherung. Und wenn der Rausch vorbei ist? Ja, dann sitzt du wieder in deiner Küche, mit deinem ungeheilten Innenleben, einem leicht überzogenen Konto und der dumpfen Erkenntnis: Irgendwas fehlt. Wieder mal und immer noch.

 

Echte Heilung ist unbequem

Echtes inneres Wachstum ist in keinem Instagram-Account zu finden. Keiner vibrierende Klangschale. Keinem scheiß Lebensblumen-Merch. Echte Heilung ist Arbeit. Unbequem, dreckig, ehrlich. Kein Workshop ersetzt die Konfrontation mit deinen eigenen Abgründen und kein Retreat erlöst dich vom inneren Müll, den du seit der Kindheit mit dir rumschleppst.

 

Aber klar, wenn du nach Wochen im Heilungs-High wieder mit beiden Füßen im echten Leben landest und dich fragst, warum du immer noch nicht „die beste Version deiner selbst“ bist, dann warst du halt nicht committed genug. Dein Fehler. Logo.

 

Konsum statt Konfrontation

Denn ganz ehrlich: Was viele unter „spirituell leben“ verstehen, ist eine Mischung aus Konsum, Vermeidung und Selfie-Ästhetik. Channelings, Palmblattlesungen, Aura-Reinigung, Manifestations-Workbooks, Frequenz-Öle und das Premium-Retreat auf Bali. Nichts gegen Inspiration oder einen ersten Zugang, aber wenn du ständig im Außen suchst, gibst du auch permanent deine Verantwortung ab. Und dann wunderst du dich, warum sich nix ändert? Weil es sich gar nicht ändern kann, solange du dich selbst dabei umgehst.

 

Die Show der selbsternannten Erwachten

Ich beobachte diese inszenierte Show regelmäßig. Selbsternannte Erwachte, Coaches und Heilerinnen, die ihre Rolle mit Inbrunst spielen. Alles so achtsam, lichtvoll und egofrei, solange man sie nicht kritisiert oder ihnen eine Bühne wegnimmt. Dann knallt plötzlich das Ego durch die Yogamatte.

 

Diese Menschen predigen, dass wir „alle eins“ sind, während sie exakt berechnen, wie sie ihre Marke, ihre Reichweite durch Verkaufs-Funneling optimieren können. Es geht um Likes, Leads und Launches. Und nicht um echte, tiefgehende Arbeit mit sich selbst. Was sie verkaufen, ist Hoffnung. Hübsch aufpoliert, mit Marketing-Algorithmus im Nacken. Ein Event. Eine Show. Erlebnis-Spiritualität eben.

 

Was Spiritualität wirklich ist

Aber was ist denn nun Spiritualität, wenn man den ganzen überflüssigen Mist abkratzt?

Für mich ist Spiritualität keine Disziplin, keine Methode, kein Zertifikat. Sie ist eine Haltung. Etwas, das wir alle in uns tragen, ob wir’s wollen oder nicht. Die meisten von uns haben nur verlernt, auf ihre innere Stimme zu hören, weil sie in Schule, Erziehung und Normierung systematisch abtrainiert wurde. Aber sie ist da. In jedem „komischen Bauchgefühl“, in jedem scheinbar absurden Zufall, in jedem kleinen Moment, wo etwas einfach stimmt.

 

Ich will mein Ego gar nicht loswerden. Ich will lernen, es zu führen. Ich will auch nicht neutral durch die Gegend floaten wie ein seelenloser Lichtkörper, der Angst vor negativen Gedanken hat. Ich will mich spüren, fühlen, straucheln, zweifeln, auf die Fresse fliegen und dabei wachsen. Für mich bedeutet Spiritualität: hinschauen, nicht weglaufen. Verantwortung übernehmen statt abgeben.

 

Hinschauen statt weglaufen

Nicht alles wegheilen wollen, sondern erstmal ehrlich anerkennen, was da ist.

Und das ist oft hässlich, chaotisch, unangenehm. Und genau das macht es echt. Für mich ist Spiritualität kein Event, sondern ein Prozess, der nie zu Ende geht. Mal still, mal laut. Mal wunderschön, mal peinlich. Aber immer mein eigener.

 

Also, bevor du das nächste High-Frequency-Retreat buchst oder dir eine neue Aura-Politur gönnst, frag dich lieber: Was davon bringt dich wirklich zu dir selbst und was ist nur Eskapismus im Eso-Kostüm?

 

Denn es gibt keine Abkürzung zu dir selbst. Und kein Erlebnis, das dir deine Arbeit abnimmt.

Also bitte hör auf, Heilung wie einen Latte Macchiato zu konsumieren. Die wirkliche Arbeit passiert nicht im Feed, sie passiert in dir. Ohne Shortcut. Und meistens ohne hübsches Licht.

 

Blogtexttitel: Der spirituelle McDrive von Jeannette Kriesel


 



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