Eine kurze Brotdosen-Burnout-Abhandlung
- Jeannette Kriesel
- 26. Mai
- 5 Min. Lesezeit
Aktualisiert: 7. Juni
Warum Muttersein heute ein verdammter Hochleistungssport ist

„Muttersein ist der einzige Vollzeitjob, der gesellschaftlich als Hobby gilt. Mit Allzeitverfügbarkeit, null Gehalt und der stillen Erwartung, dabei noch gut auszusehen.“ Jeannette Kriesel
Bist du oft müde? Nicht einfach „zu wenig geschlafen“-müde. Sondern „existenziell erschöpft“-müde? Müde vom Funktionieren, vom Kümmern und von der mentalen Jonglage zwischen Brotdosenideen, Zahnarzttermin, Kita-WhatsApp-Gruppe, dem Gefühl, wieder zu laut gewesen zu sein und der leisen Angst, dass dein Kind später mit einem Therapeuten über dich reden muss.
Willkommen. Du bist Teil einer Generation von Müttern, die alles soll, alles will, alles gibt und dabei ausbrennt.
Eine ausreichend gute Mama zu sein reicht heute nicht mehr. Eine Mama, die „einfach nur“ eine entwicklungsförderliche Voraussetzung des Kindes gewährleistet, steht der perfektionistischen Vorstellung von dem, was eine Mutter zu sein und zu leisten hat entgegen. Das äußert sich sowohl im überhöhten Anspruch heutiger Mütter an sich selbst als auch an den Erwartungen ihres Umfeldes. An dieser Stelle könnte man den Ei-Huhn-Huhn-Ei-Klassiker diskutieren…
Die meisten Mütter kümmern sich um alles. 24/7. Fast immer vergessen sie sich selbst dabei, verlieren den Kontakt, sodass eine Distanz zu den eigenen Bedürfnissen entsteht.
Sie schaffen es oft nicht aus dem Dauerstress auszusteigen und tun weiterhin so, als sei alles super, wo es eigentlich nicht der Wahrheit entspricht.
Es war einmal: Eine Illusion
Kinder bekommen ist schön, sagt man. Es ist auch das Natürlichste der Welt, sagt man. Es ist erfüllend, sinnstiftend, beglückend. Auch das sagt man.
Was einem keiner sagt ist, dass mit dem ersten Schrei nicht nur ein Kind geboren wird, sondern auch ein Erwartungsmonster: „Du wirst ab sofort alles perfekt machen.“ Und zwar mit einem Lächeln im Gesicht, bitte. Kein Meckern, kein Schreien, nichts Süßes vorm Abendbrot. Sondern Achtsamkeit, Selbstregulation und Bastelideen für den Herbst. Schließlich bist du jetzt Mutter. Und Mütter sind selbstverständlich total selbstlos. Ach ja: und liebevoll, bestens organisiert, dauerhaft belastbar, unendlich geduldig, und, und, und…, na du weißt schon.
Zwischen Ambivalenz und Anspruch
Muttersein ist ein Widerspruch auf zwei Beinen: Man liebt das Kind über alles und möchte es manchmal trotzdem dahin zurückschicken, wo es herkommt. Witziger Gedanke… Man will Verbindung und Nähe und schreit gleichzeitig nach Raum und Distanz. Man sehnt sich nach Selbstverwirklichung und steckt fest in der Optimierungs-Falle. Glückwunsch.
Dabei ist nicht das Kind an sich das Problem, sondern der Widerspruch zwischen dem, was Mütter leisten und dem, was sie dafür bekommen. Nämlich viel zu oft nichts außer einem Schulterzucken und einem „Das hast du dir doch so ausgesucht“-Gelaber.
Dabei geht es um die wirklich herausfordernden Seiten als Mama. Der überwältigenden Veränderung, die ein Kind mit sich bringt, dem neuen Rhythmus, dem Schlafmangel, der Belastung der Partnerschaft durch sich verändernde Rollen, den Struggles zwischen mütterlichen Aufgaben und beruflicher Karriere, den Schuldgefühlen, wenn das Kind Schwierigkeiten hat oder macht, und all den alltäglichen Herausforderungen.
Mental Load: Die unsichtbare To-Do-Liste
Kennst du das? Du liegst im Bett, willst endlich schlafen, da fällt dir ein: Scheiße, die Sportklamotten, von Kind 1, hängen noch auf dem Wäscheständer, die Unterschrift im Hausaufgabenheft, von Kind 2 fehlt noch, das Geschenk für die eigene Mama muss noch besorgt und das Date mit der besten Freundin um zwei Stunden nach hinten verschoben werden. Das ist Mental Load. Und der ist nicht nur anstrengend, sondern chronisch. Unsichtbar. Unbezahlt. Und meistens weiblich.
Und diese To-Do´s im Kopf hören nie auf: „Wer hat wann Termine?“, „Was muss eingekauft werden?“, „Haben alle heute früh ihr Vitamin D genommen?“, „Haben wir eigentlich noch Butter?“, „Wie sehe ich eigentlich aus? Ich sollte mal wieder zum Friseur!“
Vom Idealbild zur Identitätskrise Burnout
Wir sind die erste Generation, die alles haben soll: Karriere, Kinder, eine erfüllte Partnerschaft, ein schönes Zuhause, stabile Psyche, faltenfreie Haut, schlanke Figur, immer in Bioquali kochen, den Geburtstagskuchen für die Schule bitte ohne Mehl und Zucker backen und alle kindlichen Gefühle begleiten, statt sie wegzubrüllen. Ach so: Nebenbei noch die Steuererklärung pünktlich abgeben, aber zackig.
Wir sind aber auch die erste Generation, die dabei kollektiv die Nerven verliert. Weil wir in einem System leben, das auf der stillschweigenden Selbstaufgabe von Müttern basiert. Ohne Anerkennung. Ohne Pause. Ohne (emotionales) Sicherheits-Netz.
Dabei sind die Anforderungen an Mütter nicht nur hoch, sondern vollkommen schizophren:
Nähe zeigen, aber nicht klammern.
Loslassen, aber nicht gleichgültig sein.
Beruflich engagiert, aber nicht karrieregeil.
Immer irgendwie da, aber bloß nicht „Helikoptern“.
Achtsam und präsent, aber effizient und produktiv.
Und Schuldgefühle gibt’s gratis dazu:
Du gehst arbeiten? Schuldgefühl.
Du bleibst zu Hause? Schuldgefühl.
Du schreist? Schuldgefühl.
Du lässt zu viel durchgehen? Schuldgefühl.
Du hast dein altes Gewicht noch nicht zurück? Schuldgefühle
Schuldgefühle sind wie Bullshit-Payback-Punkte des Mutterseins, die man nicht einlösen will.
Selbstverloren zwischen Lego und Leistungsdruck
Viele Mütter erkennen sich irgendwann nicht mehr wieder. Die Frau, die mal träumte, reiste, lachte, ist irgendwie verschwunden. Verloren zwischen Buntstiften, Haushalt, Einkauf und Büro, die beim dritten Wäschekorb des Tages kurz weint und dann trotzdem weitermacht. Was denn auch sonst?
Die Sache mit der Selbstfürsorge
„Du musst mehr an dich denken“, „Plane regelmäßig Me-Time ein“ sagen die weichgefilterten Besser-Muttis bei Insta & Co. Ja wann denn?? Zwischen Kita und Video-Call, Hausaufgaben und Heulkrampf oder Abwasch und Gute-Nacht-Geschichte? Burnout
Selbstfürsorge klingt wie ein echt mieser Witz in einem Alltag, in dem nicht mal Zeit für die Intim-Rasur bleibt. Aber genau da liegt das Problem. Wer sich selbst permanent vergisst, darf sich nicht wundern, wenn irgendwann das eigene innere System die Hufe hochreißt.
Und dann kam noch mehr Druck von außen dazu
Als wäre all das nicht schon herausfordernd genug gewesen, kam die Pandemie. Und mit ihr Homeschooling, Homeoffice, Home-alles. Und wer hat das aufgefangen und doch irgendwie hinbekommen? Wir Mamas. Die „intelligent gearbeitet“ haben, während sie nebenbei die Kinder beschult, bekocht, beruhigt und bespaßt haben. Das war doch krass, oder?
Und es war DER Beweis: Die Gesellschaft rechnet mit der kostenlosen Selbstaufopferung von Frauen. Und tut überrascht, wenn sie irgendwann mit dem Kopf gegen die Wand rennen.
„Ist doch alles gar nicht so schlimm“ -Echt jetzt?
Doch. Es ist schlimm und es bleibt schlimm, wenn eine Mama nach drei Jahren Erziehungszeit keine Rente angespart hat. Wenn sie als „Teilzeit-Mutti“ abgewertet wird. Wenn ihre unbezahlte Arbeit wie selbstverständlich erwartet, aber nie gewürdigt wird. Wenn sie nachts wachliegt, weil sie glaubt, versagt zu haben. Weil das Kind schreit. Weil der eigene Körper schreit. Weil alles in ihr brüllt: „Ich will nicht mehr.“
Dabei bringen Mütter die Zukunft zur Welt, bilden die Basis jeder Gesellschaft und formen kommende Generationen. Das Bewusstsein dafür, steckt aber noch irgendwo im Stau.
Vielleicht ein erster Schritt
Mütter brauchen andere Mütter. Nicht zum Vergleichen. Sondern zum Halten, Verstehen und Teilen. Weil niemand so gut weiß, wie es ist. Weil niemand das Chaos so fühlen kann wie die, die selbst mittendrin stehen. Also Schluss mit „Alles ist gut“. Zeit für ein „es reicht“. Es reicht mit der Unsichtbarkeit, der Selbstaufopferung, dem Glauben, Mütter müssten alles alleine schaffen. Denn das müssen sie nicht. Mamas dürfen wütend, müde und laut sein.
Und vielleicht braucht es manchmal solche Texte, um zu merken: „Ich bin nicht verrückt. Ich bin nicht falsch. Ich bin einfach nur eine Mutter in einer Gesellschaft, die immer noch nicht kapiert hat, was das eigentlich bedeutet.“
PS: Wenn du dachtest „Scheiße, das bin ich“, dann ist es Zeit, dass dich jemand sieht. Und hält. Und begleitet. Nicht als Mutter, die funktionieren soll. Sondern als Frau, die endlich wieder atmen muss. Vielleicht bist du jetzt mal dran. Nicht perfekt zu sein, sondern echt. Und das reicht vollkommen aus.
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